II. Längs und quer und rundherum:
Mit dem Fahrrad entlang der Außengrenze der „Herrlichkeit Krefeld“

von Georg Opdenberg

Karte 2: Mit dem Fahrrad unterwegs
Karte 2: Längs und quer und rundherum: Mit dem Fahrrad entlang der Außengrenze der „Herrlichkeit Krefeld“

Grenzstreitigkeiten zwischen den vielen kleinen niederrheinischen Territorien waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Grenzen der „Herrlichkeit Krefeld“ waren zweifellos die umstrittensten. Das lag an den Bruch- und Heidegebieten rings um diesen winzig kleinen, kaum 12 km² großen Herrschaftsbereich, der von jeweils beiden Seiten zum Stechen von Plaggen (Grassoden als Ersatz für Stallstreu), für Ton- und Mergelgewinnung (kalkhaltiges Sedimentgestein zum Düngen) sowie als Viehweide benutzt wurde. Diese Flächen waren für die Stadt- und Landbewohner nicht nur wichtig, sondern oft sogar lebensnotwendig. Als sich wieder einmal kurkölnische Bauern und diesmal preußisches Militär gegenüberstanden, schalteten sich der König und der Kölner Erzbischof persönlich ein, um eine allgemein verträgliche Lösung zu finden. Am 9. September 1726 wurde ein Vertrag unterschrieben und die darin festgehaltene Grenze mit 14 großen Steinen markiert, wie man glaubte für die Ewigkeit. Entlang dieser Grenzsteine und im zweiten Teil auch orientiert an der Landwehr, wird uns unsere Radtour vorbeiführen.

Die steinernen Pfähle oder Limitsteine sollten 5 Fuß hoch und 1½ Fuß im Quadrat sein und auf der einen Seite das erzstiftische Kreuz mit dem Kurhut und dem Schriftzug KEMPEN sowie auf der anderen Seite das Moersische Wappen mit dem Wort CREVELT tragen. Sie sollten auf einem Fundamentstein aufgestellt – 1 Fuß dick und 3 Fuß (1 preußischer Fuß entspricht etwa 0,31 m) im Quadrat – und mit vier großen eisernen Klammern eingegossen werden. Es war strengsten verboten, ringsum Bäume zu pflanzen. Diese Grenzmarkierung wurde richtungsweisend für viele Grenzprozesse in den ringsum liegenden Territorien. In Krefeld dagegen ging schon kurze Zeit später der Streit wieder los, bis er mit der Besetzung der Rheinlande durch die französische Revolutionsarmee 1794 hinfällig geworden war.

Tafel II
Tafel II

Unsere Radtour beginnt nun hier am Anfang der Grenzstraße, und in der Mitte der Oppumer Straße (Karte 2). Dort, wo die Grenzstraße einmündet, wurde der Stein N:1 gesetzt. Heute steht er, um ein paar Meter versetzt, in der Ecke der Hecke. Die heutige Grenzstraße hat ihren Namen zu Recht, denn hier markierte ursprünglich der Buschgraben die Grenze zwischen den Ämtern Kempen und Linn (Abb. 1), die an der „Glockenspitz“ in einer Spitze endete. Mit der Grenzziehung von 1726 entstand dann dort so etwas wie ein „Dreiländereck“. Hier lag auch ungefähr der westlichste Punkt der Mark Kempen. Diese Mark war ein sehr genau umgrenztes Gebiet, das im Frühmittelalter gerodet und urbar gemacht werden sollte. Schon in einer Grenzbeschreibung aus der Zeit um 1370 wurde der Grenzpunkt hier Glockenspitz genannt, von dem die Straße später auch ihren Namen bekam. An diesem Grenzpunkt, wo sich die Grenzen der genannten zwei Ämter und der „Herrlichkeit Krefeld“ treffen, sind auf dem Stein auch die drei Wappen und Namen angebracht, CREVELT im Westen, das Amt KEMPEN im Osten[!!] und LINN im Südosten.

Abb. 1: Nieuwe Kaart van de Herrlichkeit Crefeld
Abb. 1: Nieuwe Kaart van de Herrlichkeit Crefeld von Isaak Tirion, Amsterdam 1758

Wir fahren jetzt Richtung Norden und queren die Uerdinger Straße – eine militärgeographische Straße, die Anfang des 19. Jahrhunderts von den Franzosen gebaut wurde. Derart schnurgerade Straßen, die ohne große Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse geplant und auch realisiert wurden, hatte man seit der Römerzeit nicht mehr gesehen. Bedingt durch das dazwischen liegende Sumpfgebiet, gab es vorher keine direkte Verbindung von Krefeld nach Uerdingen. Kurz vor der Friedrich-Ebert-Straße linker Hand, etwa in Höhe Dürerstraße 50, stand der Stein N:2, der nach dem Angriff im Januar 1945 verschollen ist (Abb. 2). In die Friedrich-Ebert-Straße biegen wir nun links ein, mit einem kurzen Blick nach rechts in die Jentgesallee, in deren Mitte der ehemalige Bruch- und Grenzgraben noch gut zu sehen ist. Nach etwa 500 m biegen wir rechts in die Hohenzollernstraße und sehen in Höhe des Hauses 47 in der Grünanlage den Stein N:3. Wir folgen der Hohenzollernstraße weiter bis zur Einmündung in die Husarenallee. Hier stand in etwa der Stein N:4. Weiter geht es in nördlicher Richtung über die Moerser Straße – eine uralte Verbindung zwischen Moers, dem Sitz des Landesherrn, und der Herrlichkeit Krefeld mit der Burg Cracau.

Abb. 2: Eine alte Lithographie zeigt den Stein N:2
Abb. 2: Eine alte Lithographie zeigt den Stein N:2 vor dem sogenannten Jägerhaus der Herren von der Leyen

Gut hundert Meter weiter biegen wir links in den Appellweg ein. Auf der rechten Seite, kurz vor der Hubert-Houben-Kampfbahn, liegt ein großer Findling. Er erinnerte an die Richtstätte in preußischer Zeit, die es hier seit 1702 gab (Abb. 3). Der Platz lag dicht vor der Landesgrenze an der Durchgangsstraße nach Moers und in einer wilden, damals unbesiedelten Gegend. In der oranischen Zeit von 1600 bis 1702 befand sich der Richtplatz an der heutigen Kölner Straße, in der Nähe der alten Krankenanstalten kurz vor der Grenze. Diese war markiert und befestigt mit einer Landwehr, der heutigen Obergath. Es war gewollt, dass viel Volk sehen sollte, wie Übeltäter bestraft wurden. Dass hierbei die Äcker ringsum meist verwüstet wurden, führte zu regelmäßigen Streitigkeiten mit dem Kloster Meer, dem die landwirtschaftlichen Nutzflächen ringsum gehörten und das dann auch Entschädigung forderte. Das war Grund genug, den Richtplatz schließlich an dieser Stelle aufzugeben.

Abb. 3: Plan von 1769
Abb. 3: Auf einem Plan von 1769 zum Verkauf von Grundstücken sind die Richtstätte sowie die Steine N:4 und N:5 und dazu ein Maßstab in Cöllnischen Ruthen dargestellt

Wir wenden uns nun zur Moerser Straße zurück und biegen gut hundert Meter weiter rechts in die Vogelsangstraße ein. Hier stand Stein N:5. Wir verlassen jetzt Krefeld, durchqueren Kempener Gebiet und stoßen – keine 200 m weiter – am Ende der Vogelsangstraße wieder auf den Buschgraben, der die Grenze zum Amt Linn bildete. Am Westrand des Stadtwalds folgen wir dem Buschgraben weiter in nördlicher Richtung, überqueren mit Hilfe einer Brücke den Europaring – ursprünglich einmal als Eisenbahntrasse geplant – und biegen dann links in den Flohbusch ein. Das Gelände hat seinen Namen von dem Samtfabrikanten Gottschalk Floh, der in der Franzosenzeit, von 1805 bis 1814, Bürgermeister von Krefeld war. Er kaufte aus säkularisiertem Kirchenbesitz 170 Morgen des Bockumer Waldes, die seither Flohbusch genannt wurden.

Nach wenigen dutzend Metern, dort wo der Buschgraben und der Moerskanal zusammenkommen, steht malerisch zwischen jungen Bäumen und den Wasserführenden Gräben ein großer Grenzstein, 1½ Fuß im Quadrat und 3 Fuß hoch mit der Aufschrift KEMPEN (Abb. 4). Deutlich ist auch in der Böschung noch die Bodenplatte zu sehen, 3 Fuß im Quadrat und 1 Fuß dick, auf welcher der Stein steht, um im Morast nicht einzusinken. Dieser Stein gehört nicht zu den 14 Steinen, mit denen die „Herrlichkeit Krefeld“ umgrenzt wurde. Es ist aber auch nicht mehr der alte „weiße Stein an Beckmanns Ort“ aus dem 14. Jahrhundert. Woher der Name stammt, ist nicht sicher. Möglicherweise war das Original ein heller Findling, den ein Gletscher der vorletzten Eiszeit vor rund 200.000 Jahren bei seinem Rückzug in der Nähe liegen gelassen hat oder er wurde, um ihn im Unterholz besser bei künftigen Grenzgängen zu finden, regelmäßig mit Kalkbrühe bestrichen. Das Wort „Ort“ weist auf einen Knick in der Grenze hin, hierzu später noch mehr. Dieser Stein markiert einerseits die Grenze zwischen dem kurkölnischen Amt Kempen im Westen, andererseits diejenige zwischen Uerdingen im Norden und Linn im Süden. Etwa 1 km weit nach Osten konnte man diese Grenze beim Grenzübergang Heyenbaum überqueren.

Abb. 4: Im sump­figen, unweg­samen Gelände am Flohbusch
Abb. 4: Im sump­figen, unweg­samen Gelände am Flohbusch stand der so genannte „weiße Stein“, an dem die Grenze der kurkölnischen Ämter Kempen, Uerdingen und Linn sich trafen

Nur einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, dass dieser Stein wieder an Ort und Stelle steht. Vor gut dreißig Jahren entdeckte einer der Anwohner ihn, notdürftig versteckt am Straßenrand. Ein benachbarter Bauer wurde herbeigerufen, der den Stein mit dem Traktor auf seinem Hof in Sicherheit brachte. Irgendwann dann wurde ich gebeten, die exakte Stelle, an der er gestanden hat, ausfindig zu machen. Denn von einer Platte, die nicht zu sehen war, wusste Niemand mehr etwas. Ohne dass wir darüber Dokumente besitzen, hat es den Anschein, dass bei den Verhandlungen von 1726 zwischen Preußen und Kurköln versucht wurde, die Grenzen zwischen den Ämtern festzulegen und dass dann an strittigen Stellen gleichartige Steine gesetzt wurden. Auch am Übergang der Nieper Straße über die Niepkuhlen steht ein solcher Stein, der die Moerser Grenze markiert. Aber das ist jetzt eine andere Geschichte. Wir folgen nun der Straße Am Flohbusch und biegen schon nach wenigen Metern rechts in die Moerser Straße, der wir bis zum Gasthaus Marcelli folgen. Hier, bei Einmündung der Heyenbaumstraße, stand noch nach 1878 der letzte Schlagbaum, an dem Chausseegeld erhoben wurde und der bei Nacht die Moerser Straße sperrte (Abb. 5).

Abb: Zollschranke bei Marcelli
Abb. 5: Die historische Abbildung zeigt die Zollschranke bei Marcelli Ende des 19. Jahr­hunderts

Wir kürzen die Route jetzt ein wenig ab, queren die Moerser Straße und fahren über den Hökendyk bis zum Langendyk, der die Grenzverbindung von Stein N:6 zu Stein N:7 bildet. Stein N:6 gilt schon lange als verschollen. Er stand ursprünglich an der Nordseite des Krüllsdyk ein paar Meter westlich von dem abgehenden Graben nach Hüls. Wir fahren weiter über den Langendyk Richtung Norden. Ein paar Meter hinter der Kreuzung mit dem Flünnertsdyk und wenige Meter weiter links, nördlich des Parkplatzes, steht der Stein N:7, zu dem seit neuestem ein kleiner gepflasterter Weg führt.

Um nun zu Stein N:8 zu kommen, fahren wir nordwärts den Langendyk weiter und biegen dann links in den Plankerdyk ein. Wir queren kurz darauf den Flöthbach, der begleitet wird von zahlreichen Trittbrettbiotopen. Das sind kleine, mehr oder weniger tiefe Überflutungsflächen, die sich bei starkem Regen füllen und in denen dann das Wasser etwas länger stehen bleiben kann. Sie dienen beispielsweise als Laichplatz für die unterschiedlichsten Amphibien, die hier leben. Dann kommt eine Biegung nach rechts und nun fahren wir parallel zu der Inrather Hofzeile linker Hand. Die Wiesen und Weiden sind spiegelglatt. Entlang der Terrassenkante, die während und nach der letzten Eiszeit durch fluviatile Ablagerungen des Rheins innerhalb seines verzweigten Abflusssystems gebildet wurde und die mit etwa 5,5 m Höhe den Übergang vom Bruch zur der Krefelder Platte bildet, schlängelt sich die Inrather Straße von Hof zu Hof (Abb. 6). Im Norden der „Herrlichkeit Krefeld“ kann man auch heute noch sehen, wie die Inrather Bauern von der Terrassenkante aus in kleinen Schritten versuchten, das nasse Bruch nutzbar zu machen. Der Weg, den jeder für sich hinein anlegte, war ein Dyk, ein Deich.

Abb. 6: Die Terrassenkante
Abb. 6: Die Terrassenkante ist auf dem Kartenausschnitt der Tranchotkarte von 1804 gut sichtbar dargestellt

Die Terrassenkante selbst reicht auf Krefelder Gebiet von Steinrat südlich von Fischeln bis Orbroich nördlich von Hüls. In einer der Weiden auf der linken Seite, kurz bevor der Plankerdyk nach Westen abbiegt, muss der Stein N:8 gestanden haben, bevor er vor etwa 100 Jahren verschwand. Darauf machte mich der Denkmalpfleger in den 1980er Jahren aufmerksam, und er bat mich – wenn möglich – den genauen Standort zu ermitteln, da an dieser Stelle ein ausgesiedelter Bauernhof seinen neuen Platz finden sollte. Gesagt, getan: Mit den Unterlagen aus dem Urkataster von 1827 war es fast ein Kinderspiel und wir fanden den Stein neben seiner Grundplatte. Er war, weil er wohl beim Pflügen im Weg war, einfach umgelegt worden. Das war für mich dann in der Folge auch der Anlass, mir die anderen Steine oder das, was davon übriggeblieben war, einmal näher anzusehen. Der Stein wurde später beim Bau des neuen Bauernhofes in die Hecke nahe dem Eingang gesetzt.

Der zweite Teil unserer Fahrradtour führt uns nun in südlicher Richtung wieder zurück zur Stadt und verläuft zu großen Teilen auf alten Wegen, die zumeist die ehemalige Landwehr im Westen der „Herrlichkeit“ begleiteten. Dies soll Anlass sein, hier auch ein wenig auf die Hof- und Flurnamen einzugehen, die im Zusammenhang mit der bereits um 1360 entstandenen territorialen Befestigung stehen. Das beginnt schon mit dem Plankerdyk, auf dem wir von der Ostseite der „Herrlichkeit“ zur Westseite wechseln, vorbei an drei von den ehemals vier Grenzsteinen von 1726. An welcher Stelle genau eine feste Holzplanke über den Grenz- oder Landwehrgraben einen Übergang ermöglichen sollte, wissen wir nicht mehr, aber am südlichen Ende der Landwehr, in Lindental, finden wir in dem Straßennamen An de Plank diesen Namensbezug auch wieder. Zuerst aber folgen wir weiter dem Plankerdyk Richtung Stein N:9. Dieser stand hart am südlichen Rand der Straße und war der Überlieferung nach von amerikanischen Panzern bei der Durchfahrt zur Seite und unter den Boden gedrückt worden. Mit viel Mühe und Überzeugungskraft fanden wir ihn dann etwas tiefer gelegen in einem Vorgarten. Er wurde später auf der Verkehrsinsel an der Kreuzung Plankerdyk / Bruckersche Straße wieder aufgestellt.

Mitten in der Krefelder Straße, etwa vor dem ehemaligen Lokal Schützenhof, soll Stein N:10 gestanden haben, damit man auf dem Weg nach Hüls und weiter Richtung Geldern wusste, wann man die „Herrlichkeit“ verlassen hatte. Irgendwann ist er wohl beim Ausbau der Straße oder der Verlegung der Straßenbahngleise verlustig gegangen. Etwa 200 m weiter, in der Spitze, an der die Drügstraße von der Straße Am Schützenshof abzweigt, steht in einer Vorgartenmauer der Stein N:11 und hier endet oder beginnt die Landwehr, die sich bis zur Gladbacher Straße bei dem alten Verwaltungsgebäude der ehemaligen Edelstahlwerke durch die Landschaft zieht. Hier im ersten Abschnitt markiert die Drügstraße ihren Verlauf. Etwa 500 m weiter – gegenüber dem Luershof, auf dem viele Wohnwagen parken ­– knickt sie nach links ab. Der Hofname ist möglicherweise an dieser herausragenden Stelle der Landwehr ein Spähname, der von „Luren“, gleich Ausschauhalten abgeleitet ist. Wir radeln bis zur Venloer Straße, biegen links ab, fahren bis zum Backeshof weiter und biegen wiederum links in die Siempelkampstraße ein. Nach etwa 100 m zweigt nach links ein Feldweg in Richtung Norden ab. Hier stand nun der Backesbaum, der Schlagbaum vor dem Landwehrdurchgang. Der noch vorhandene alte Feldweg markiert die alte Landwehr.

Beim Wort Backes, das Backhaus, das traditionell zu fast jedem Bauernhof gehörte und auch oft als Notquartier diente, denkt so mancher noch an die alte Redensart: „Do bös noch net an Schmitz Backes vorbee“, was so viel bedeutet wie: „Möglicherweise kommt das dicke Ende noch“. Für uns könnte das beispielsweise die Frage sein, ob wir bei dieser Wetterlage noch trocken nach Hause kommen. Ob die Redewendung sich auf diesen Backeshof bezieht oder den kurz vor dem Friedhof gelegenen Baackeshof am Nauenweg, oder ob der Spruch aus dem Kölner Raum importiert wurde, wie manche mutmaßen, spielt hier keine Rolle. Noch einmal gut 100 m weiter stand der Stein N:12, der vor einigen Jahren in den Grünstreifen vor der Einfahrt zum Parkplatz der Firma Siempelkamp gesetzt wurde, um ihn besser zu schützen.

Wir wenden nun und fahren Richtung Benrader Straße, die wieder die Landwehr markiert und biegen dann links in die Widdersche Straße ein. Die kleine Anzahl dort befindlicher Höfe wurde Lemmenhöfe genannt. Der Begriff „Lemmen“ verweist auf eine besondere Art der Pflege und Befestigung der Landwehr. Hierbei wurden von den, auf den Wällen angepflanzten Bäumen Seitentriebe mit einer Länge von 3-5 m auf die Erde niedergebogen und mit Grassoden, Steinen oder Astgabeln befestigt, damit sie Wurzeln schlagen. Das Ende des Triebes wurde unterstützt, damit es sich leichter aufrichten und weiterwachsen konnte. Dies Verfahren nannte man „Oplemmen“. Möglicherweise waren die Bewohner dieser Hofansammlung in der Vergangenheit verpflichtet, auf diese Art und Weise einen bestimmten Abschnitt an der Landwehr so zu befestigen, dass die später armdicken Äste dicht über dem Boden ein Vorwärtskommen von Eindringlingen behinderten. In dem Bild von der Schlacht an der Hückelsmay im Januar 1642 ist deutlich sichtbar, wie die Landwehr mit Bäumen bepflanzt war, um sie undurchdringlich zu machen und am oberen Bildrand ist zu erkennen, wie die Angreifer zur Überwindung dieses Hindernisses eine Brücke über die Landwehr angelegt haben (Abb. 7).

Abb. 7: Auf dem Kartenausschnitt die Baumanpflanzung
Abb. 7: Auf dem Kartenausschnitt ist die Baumanpflanzung entlang der Landwehr gut zu erkennen

Weiter geht es nun bis zur Ortmannsheide, an der die Landwehr nach links in Richtung Osten abbiegt. Dieser Knick war wohl auch für die Flur, die Straße und einige der dortigen Höfe namengebend. Die Bezeichnung „Ort“ für Knick oder äußerste Ecke hat sich noch in dem Begriff „Ortgang“ für die seitlichen Dachziegel am Giebel erhalten. Sie findet sich auch in alten Namen wie „Ortlieb“ oder „Ortrud“, wobei hier „Ort“ die Spitze einer Waffe meint. Kurz vor dem Übergang der Bahn nach Kempen sehen wir linker Hand noch ein kurzes Stück der Landwehr fast in ihrem Urzustand. Die Gräben sind tiefer und die Wälle viel höher und oben fast noch spitz und nicht so platt getreten wie im Forstwald. Hier am Bückerhof hat sich, wie ein Blick auf die Karte zeigt, die Landwehr gut 400 Meter von der Grenze entfernt. Sie war ja auch in erster Linie eine Verteidigungsanlage und weniger eine Grenzmarkierung. Zudem war sie von Kurköln angelegt worden, als das Amt Linn noch zu Kleve gehörte. Aber um den Streifen Land zwischen der Landwehr und der Grenze wurde auch immer wieder gestritten.

Der ein wenig weiter östlich liegende Bückerhof, ehemals eine Bullenzuchtstation, hat wahrscheinlich seinen Namen von einem Landwehrdurchgang an dieser Stelle. Die Einen beziehen ihn darauf, dass die lebende Hecke auf der Landwehr „gebuck“, das heißt gebogen und geflochten werden musste, damit ein dichtes Geflecht entstand. Die Anderen führen ihn auf den gewundenen Weg durch die Wallanlage zurück. Auch an der Oberbenrader Straße gibt es einen Bückerhof. Und in anderen Regionen wird gleich die ganze Landwehr als „Gebück“ bezeichnet. Nach dem Gleisübergang rechts hinter dem Kleingartengelände verbergen sich zwischen den Wiesen unter Gestrüpp noch die Reste vom Klein Gatherhof. Unter „Gath“ versteht man in erster Linie ein Loch oder einen Durchgang wie im englischen „gate“, hier dann ein Weg durch die Landwehr. Oft aber werden auch die Wege, die zu dem Durchgang führen, Gath genannt mit dem Namenszusatz des Hofs, zu dem sie führten, wie Horkes(-gath) oder Girmes (-gath). Bei der Obergath (siehe oben) und der Untergath, der Grenze und Landwehr im Süden der Stadt, bezieht sich das „Gath“ nur noch auf den, die Landwehr begleitenden Wassergraben, der zugleich der Entwässerung diente.

Kurz vor Schicksbaum linker Hand hinter der Eisenbahn, in dem Wasserschutzstreifen der Brunnengalerie, steht der Stein N:13 heute wieder aufrecht an seinem angestammten Platz auf der Grundplatte mit vier Eisen gestützt. Auch er war vor etwa 100 Jahren, aus welchen Gründen auch immer, „umgelegt“ und dann wiedergefunden worden (Abb. 8). Wie für den Stein N:8 war es auch ein Glück für den Stein N:13, dass man ihn seinerzeit „umgelegt“ hat, weil er störte. Somit blieben er und auch die Bodenplatte an Ort und Stelle gut erhalten.

Abb. 8: „Umgelegter“ Stein N 8:
Abb. 8: „Umgelegter“ Stein N 8:

Auf dem Weg nach St. Tönis war der Schicksbaum – der Name verrät es schon – ein offizieller wichtiger Landwehrdurchgang. In der gleichnamigen Siedlung erinnert der neue Straßenname An Zehnt­-heister an eine alte Grenzmarkierung. Heister, einzelne aufrechtstehende Bäume, insbesondere Eichen und Buchen, wurden in unwegsamem Gelände oft als Grenzmarkierung gesetzt. Nicht selten wurden in Streitfällen diese Bäume aber auch ausgehauen, sodass bei Neuanpflanzungen und um Verwechslungen auszuschließen, an sie zur besseren Kennzeichnung noch (Grenz-) Steine gelegt wurden. Dieser Grenzbaum nördlich von Schicks trug den Namen Schicks–Zehntheister. Östlich von Schicks, an der St. Töniser Straße, keine 200 m von der Kreuzung entfernt, neben der Einfahrt zum Depot der Krefelder Verkehrs AG, steht in dem Grünstreifen der Stein N:14. Bis in die 1960er Jahren war er etwa 60 m weiter auf dem Betriebsgelände verortet.

Den weiteren Verlauf der Landwehr markieren noch Straßennamen wie Gatherhofstraße, An de Planck, Landwehr und die Tackheide, um die immer wieder erbittert gestritten (tacken) wurde. Nicht zu vergessen: Weiter westlich lag die Hückelsmay. Bis etwa 1850 öffnete und schloss der Baumhüter den Schlagbaum, auch „Mei“ genannt. Für seine Dienstleistung, auch als Zollstelleninhaber, erhielt er vom Landesherrn ein Haus und ein Stück Ackerland zugewiesen. Wir aber folgen nun dem Weeserweg bis zur Marktstraße. Heute etwa in der Mitte der Kreuzung von Weeser– und Baackesweg, Markt– und Forstwaldstraße stand einst die Gerichtslinde. Unter der Linde – sub tilia – sprach auf der Gerichtsbank ein mit Richter und Schöffen besetztes Gericht schon um 1326 Recht. Der Bauernschaft „Unter der Linde“, dessen ältester Hof, der Hauserhof, schon im 11. Jahrhundert genannt wird, gab diese Gerichtslinde ihren Namen. Sie ist der Tirionkarte (Abb. 1) noch verzeichnet, aber schon lange gefallen. Sie lebt an diesem Ort noch weiter in Namen wie Lindenstraße oder Lindental, der Bezeichnung für dieses Quartier und in dem Namen der alten Gaststätte „Onger de Leng“.

Wer Lust und Laune hat, kann jetzt noch bis zur Hückelsmay fahren. Wenn nicht, dann geht es von hier aus die Marktstraße schnurstracks entlang ins Zentrum der Stadt, zum Mittelpunkt der „Herrlichkeit Krefeld“.

Georg Opdenberg
Georg Opdenberg

Georg Opdenberg,
Jahrgang 1950, lebt in Krefeld. Er war als Landvermesser (Dipl. Ing.), zuletzt im städ­tischen Fachbereich Vermessungs-­ und Katasterwesen tätig und ist bekannt durch zahlreiche Veröf­fentlichungen über Vermessungswesen, Stadtgeschichte und Krefelder Künstler. Er ist außerdem seit 1982 Mitglied der Gemeinschaft Krefelder Künstler e. V.

Schriftenverzeichnis
HANGEBRUCH, Dieter: Krefeld unter oranischer und unter preußischer Herrschaft; in: Reinhard Feinendegen & Hans Vogt (Hrsg.), Krefeld. Die Geschichte der Stadt, Band. Von der Reformationszeit bis 1794, S. 111-252; Krefeld 2000
HOUBEN, Ulrich: Die Festlegung von Landes- und Ämtergrenzen durch sichtbare Grenzmale im Gebiet Krefeld- Kempen und die Auswirkung auf private Grenzsicherungen; in: Grenzen-Karten-Geometer im 17. und 18. Jahrhundert am Niederrhein, S. 47-55; Viersen 1988
HOUBEN, Ulrich & OPDENBERG, Georg: Kurkölnisch-preußische Grenzfindung um die Herrlichkeit Krefeld; in: Die Heimat, Jg. 61, S. 71–86; Krefeld 1990
OPDENBERG, Georg: Ungewöhnlich markierte Grenzsteine auf Krefelder Gebiet; in: Die Heimat, Jg. 54, S. 88-102; Krefeld 1983
OPDENBERG, Georg: Die Benrader Landwehr im heutigen Straßenbild; in: Der Forstwald, Jg. 21, S. 33–35; Krefeld 1992
STEEGER, Albert: Orts-, Hof- und Flurnamen an Grenzen und Landwehren des Niederrheins; in: Die Heimat, Jg. 19, S. 125-157; Krefeld 1940