Zeitschrift für niederrheinische Kultur- und Heimatpflege
Herausgegeben vom Verein für Heimatkunde in Krefeld
Schriftleitung Oskar Burghardt Reinhard Feinendegen
Jahrgang 65 November 1994
Liebe Leserin!
Lieber Leser!
Am 30. November 1993 wurde dem Mitschriftleiter der „Heimat“ Dr. Oskar Burghardt der Rheinlandtaler verliehen. Der so Geehrte hielt bei diesem Anlaß eine Dankesrede, aus der hier einige Abschnitte folgen. Sie drücken in eindringlicher Weise aus, um was es den Heimatkundlern bei ihrer Arbeit geht. Sie können auch als Hintergrund für die Herausgabe eines solchen Jahrbuches wie „die Heimat“ verstanden werden und sollen deshalb in diesem Jahr an die Stelle des Vorworts treten. Ich freue mich über die Gelegenheit, Dr. Burghardt noch einmal Dank zu sagen für 16 Jahre engagierter Mitarbeit an der „Heimat“. Der Dank an die Autoren, Förderer. Zusteller des vor Ihnen liegenden Jahrgangs soll deshalb nicht fehlen: sie halten uns zum größten Teil schon seit vielen Jahren die Treue. Möge der 65. Jahrgang vielen reichen Gewinn bringen!
Reinhard Feinendegen
Bewahren von Erinnerung:
ein Traum?
von Oskar Burghardt
Haben wir nicht alle einmal Träume gehabt oder haben sie noch? Den Traum von einem guten Examen, von einer harmonischen Beziehung, von einem verständnisvollen Chef, von einem erfüllten Leben, von einem gnädigen Tod? Das Träumen gehört genau so existent zum Leben des Menschen wie das Essen und das Trinken. Wären wir unserer Träume und Sehnsüchte beraubt, würde der Motor unseres Lebens arg ins Stocken geraten. Hoffnung, Sehnsucht und Träume bilden den Saft, der ihn treibt Sie bewirken letztlich auch, daß wir fähig sind, etwas zu leisten, etwas zustande zu bringen, über das zu freuen und das zu feiern, es sich lohnt….
Auch ich habe einen Traum: den des Festhaltens, des Bewahrens von Erinnerung. Nahezu Monat für Monat erlebe ich, daß mir liebgewordene Menschen aus meinem Gesichtskreis entschwinden, sei es durch Pensionierung, durch Tod, durch andere Umstände. Es waren und sind Menschen, die mich ein Stück meines Lebens begleitet haben, die mir wohlgesonnen waren, die mich bereichert haben. Und doch: nur kurz ist die Zeit, und niemand spricht mehr von ihnen….
Haben wir nicht mehr die Zeit und die Geduld, den Alten zuzuhören, wenn sie von früher erzählen, auch von ihren Träumen? Ihre zerstobenen Träume von einer besseren Welt sind Verpflichtung für die nachfolgende Generation. Ein Traum? Keiner hat dies meines Erachtens besser in Worte gefaßt als der wiederentdeckte Neusser Schriftsteller und Dichter Karl Schorn, dessen 100. Geburtstages in diesem Jahr gedacht wurde. Er sagte: „Ihr Jungen werdet nicht ungeduldig, wenn alte Leute vom Vergangenen erzählen. Diese Vergangenheit ist einmal ihre Zukunft gewesen und eure gegenwärtige Zukunft wird sehr bald eure Vergangenheit sein.“ Genau darin sehe ich die Motivation für meine Arbeit im Verein für Heimatkunde und im Landschaftsbeirat: zu dokumentieren, zu berichten, zu bewahren, zu schützen. Ein historisches Gewissen zu entwickeln, sollte die vornehmste Aufgabe aller sein. Vergangenheit ist eben kein steriles Museum, wie der berühmte österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard meint, der in einem Gespräch mit Krista Fleischmann sagte: „Das Zurückdenken hat ja keinen Sinn, weil da bewegen Sie sich ja sowieso in einem Museum, das feststeht, so wie die ganze Geschichte. Ist ja uninteressant Spannend ist ja nur, was kommt, aber spannend ist nicht das, was war.“ Tausende Male haben die Geschichtswissenschaften, die Archäologie, die Geowissenschaften, aber auch die Literatur bewiesen, daß dem nicht so ist, daß Geschichte äußerst spannend ist, daß sie trifft, daß sie betroffen macht und zur Stellungnahme herausfordert. Auf Krefeld bezogen erinnere ich nur an die jüngste Veröffentlichung des Vereins für Heimatkunde: „22. Juni 1943: als Krefeld brannte.“ Welche Erlebnisse, welche Gefühle. welche Emotionen stecken in diesen Berichten! Sind sie ein uninteressantes Museum? Die Antwort auf diese Frage brauche ich nicht zu geben. Sie beantwortet sich von selbst. Und so könnte ich hier noch viele weitere Beispiele aus der „Heimat“ anführen, die letztlich zu dem führen, was Professor Dr. Severin Corsten am Ende seiner Festrede zum 75jährigen Bestehen des Vereins für Heimatkunde sinngemäß sagte: Um die Zukunft zu begreifen, muß ich, wie beim Weitsprung, zunächst einige Schritte zurückgehen in die Vergangenheit, um dann einen kühnen Sprung über die Gegenwart in die Zukunft zu tun. …